„Es wurde viel mit Gewalt gearbeitet“Jugendhilfe im Wandel der Zeit
Bückeburg (mm-16.10.15). Auf Einladung der Senioren Union im Stadtverband der CDU hat Jürgen Kruska (67) im Neuen Ratssaal des Rathauses vor einem größeren Besucherkreis zum Thema: „Jugendhilfe im Wandel der Zeit“ referiert. Kruska wurde vom Vorsitzenden der Senioren Union, Friedrich Pörtner, als „Praktiker und Experte für Jugendhilfe“ vorgestellt. Er ist Begründer und Leiter vom Jugendhof „Hirschkuppe“ in Steinbergen.
Kruska war immer voller Idealismus und an vorderster Front der Sozialpädagogik. Oft sei die Zeit noch nicht reif für seine Ideen gewesen. Immer wieder habe es in der Vergangenheit kontroverse Diskussionen über eine geschlossene Unterbringung der Jugendlichen gegeben. Der Heimleiter hat sich auch im Ausland engagiert, hat seine Kenntnisse in Peru eingebracht, wo er geholfen hat, ein Heim für Straßenkinder aufzubauen, das später von den SOS-Kinderdörfern übernommen und weitergeführt wurde.
Kruska war noch ein junger Student, als er in Steinbergen das Gelände an der Hirschkuppe mit drei Häusern des ehemaligen Schwesternheims vom Friederikenstift Hannover gekauft und unterstützt hat. Ihm war es gelungen, auch eine Bank von seinem Konzept zu überzeugen und ihm eine Million Mark für Kauf und Sanierung zur Verfügung zu stellen.
Es seien heute, so Kruska, völlig andere Kinder als in den 70er Jahren, die in dem Jugendhof untergebracht sind. Aber die „kaputten Elternhäuser“ seien als Ursache geblieben. Es handele sich um „Alkoholiker-Familien, Drogen-Eltern und Gewalt-Familien“. Die Kinder seien „exzessive Schulschwänzer, klauen wie die Raben, begehen Vandalismus und – ein neuer Trend – hauen der Mutter auf die Klappe“. Sie würden ein „Milieu der Angst“ schaffen, so dass ihre Wünsche nach einem neuen Baseball-Cap oder Markensportschuhen aus Angst erfüllt werden.
Das zuständige Jugendamt des Landkreises habe eine psychologische Beratungsstelle, könne Schularbeiten in der Gruppe anordnen oder einen Erziehungsbeistand in die Familie entsenden, der den Erziehungsalltag dann managt. „Wir haben den Auftrag und bemühen uns, die Kinder so schnell wie möglich wieder zuhause zu integrieren“, erläuterte Kruska. Eine Heimunterbringung könne dennoch bis zu acht Jahren dauern.
Die Jugendhilfe habe früher, so der Referent, keinen Stellenwert gehabt, sei teuer gewesen. „Wir waren nicht da, um zu helfen, sondern zu bestrafen“, so Kruska und schildert die schlimmen Zustände zu Beginn seines Berufslebens in den 70er Jahren in einer kirchlichen Einrichtung. Es sei „kräftig geprügelt“ worden. Als Strafe für ein Weglaufen habe es einen dreitägigen Aufenthalt im „Besinnungsstübchen“ gegeben. Der Begriff „Zelle“ sollte nicht verwendet werden. „Es wurde viel mit Gewalt gearbeitet“, erinnert sich Kruska. Obwohl die Jugendlichen körperlich hart in der Landwirtschaft und in einer Werkstatt arbeiten mussten, wurden Lebensmittel eingeteilt; Kühlschränke gab es dagegen nicht.
Es kam die Zeit des Umbruchs in der Jugendhilfe, neue Sozialarbeiter mit Ideen, aber in den Behörden hätten immer noch „die Alten“ gesessen, mit denen eine inhaltliche Auseinandersetzung nicht möglich gewesen sei. Kruska hat den Ansatz, den Jugendlichen Erfolge vermitteln zu müssen. Das geht in der Freizeit ganz gut mit dem Sport. Also wurden Kanus gebaut und zum Teil 160 Kilometer am Tag zurückgelegt. „Das wurde beim Landesjugendamt nicht gern gesehen“. Jürgen Kruska ist als Heimleiter moderne Wege gegangen, hat mit Erzieherinnen gearbeitet und Wohngemeinschaften mit Jungen und Mädchen gebildet („heißes Eisen“). Er hat die „Gruppen-Oma“ eingeführt, die sich um die Sorgen der Kinder und Jugendlichen kümmert.
Der Ansatz des Landkreises, 15- bis 16-Jährigen eigene Wohnungen zu geben, sei schnell ausgenutzt worden. Die Jugendlichen hätten den Eindruck gewonnen, „dass Fehlverhalten mit Wohlverhalten belohnt“ wurde. Kritisch sieht er auch Jugendrichter, die mehrmals rückfällig gewordenen Jugendlichen bloße Verwarnungen aussprechen. „Bewährungsstrafen werden von den Jugendlichen oft als Freispruch angesehen“.
Während die Kinder früher 14 Jahre alt waren, wenn sie zur „Hirschkuppe“ kamen, sind es heute bereits Achtjährige, die zum großen Teil bereits wegen der chaotischen Elternhäuser traumatisiert seien. Die Arbeit werde immer schwieriger, auch weil man nicht das richtige Personal bekomme. Zum einen stört sich der Heimleiter am Outfit der Erzieher („Tätowierung und Piercing“), zum anderen würden viele die Rechtschreibung nicht beherrschen. „Wir sind aber eine Bildungseinrichtung“, so Jürgen Kruska abschließend. Zurzeit sind 48 Jugendliche, vier Erzieher, zwei Männer und zwei Frauen, im Jugendhof „Hirschkuppe“ untergebracht.
Foto 1: Jürgen Kruska
Foto 2: Friedrich Pörtner
Foto 3: Ruth Harmening bedankt sich bei Jürgen Kruska mit einem Präsent für den anderthalbstündigen Vortrag.
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