Beweissicherung „für später“
Netzwerk „ProBeweis“ hilft Opfern von Gewalt

Landkreis (mm-31.05.22). Das Netzwerk „ProBeweis“ wendet sich an die Opfer von häuslicher und/oder sexueller Gewalt und bietet nach einer Gewalttat die Möglichkeit der professionellen Spurensicherung – losgelöst von einer Anzeige bei der Polizei.

In Deutschland wurden im Jahr 2021 über 100.000 Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung registriert. Allein in Niedersachsen waren 2021 fast 25.000 Menschen Opfer häuslicher Gewalt. Die Dunkelziffer liegt vermutlich noch viel höher. Vielen Betroffenen fällt es schwer, sich direkt im Anschluss an die Tat an eine offizielle Stelle zu wenden, zur Polizei zu gehen und Anzeige zu erstatten.

Gerade nach einer Gewalttat spielt der Zeitfaktor im Hinblick auf die Beweissicherung aber eine entscheidende Rolle, denn einige Verletzungen sind nur kurz nachweisbar. Für ein mögliches späteres Gerichtsverfahren ist es aber unerlässlich, nach der Gewalterfahrung zeitnah Befunde und Spuren zu sichern, Verletzungen fachkundig zu belegen und auch  Dokumentationen zu erstellen.

Opfer befinden sich jedoch unmittelbar nach der Tat in einer Extremsituation, sind emotional überfordert und häufig nicht in der Lage, das Geschehene rational zu bewerten und sachlich logische Entscheidungen zu treffen. Hinzu kommt, dass Täter nicht selten Personen aus dem nahen familiären Umfeld sind.

„Das Ziel von ‚ProBeweis‘ ist es, die Lücke zu schließen, die entsteht, wenn Opfer, die geschlagen oder vergewaltigt wurden, sich erst mit Verspätung dazu entschließen, Anzeige zu erstatten. Ohne vorliegende Beweise ist es extrem schwierig, eine Verurteilung zu erreichen“, betont die Rechtsmedizinerin Sarah Stockhausen von der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH).

Um dem Verschwinden von Beweismaterialien entgegenzuwirken, ging 2012 von der MHH der Anstoß zur Gründung des „ProBeweis“ Netzwerkes aus. „ProBeweis“ ist ein Zusammenschluss von speziell geschulten Ärzten und Ärztinnen, die Betroffenen kostenlos und streng vertraulich zur Seite stehen und sie mit Rat und Tat unterstützen.

Neben dem entsprechenden Know-How für dieses sehr spezielle medizinische Fachgebiet, das „ProBeweis“ in Schulungen an beteiligte Mediziner vermittelt, stattet die MHH beteiligte Ärzte auch mit entsprechenden Untersuchungskits, mit DNA-freien Tüten und Tupfern, Infomaterial und Dokumentationsbögen aus, die speziell der Beweissicherung dienen.

Die erstellte Dokumentation wird bis zu 30 Jahre aufbewahrt, dazugehörige Beweismaterialien für bis zu drei Jahre. Deutschlandweit hat „ProBeweis“ etwa 40 Partnerkliniken, an die sich Betroffene wenden können, um sich anonym und ohne jegliche Konsequenz untersuchen zu lassen und Spuren zu sichern, solange diese noch verfügbar sind.

Das Agaplesion Klinikum Schaumburg in Vehlen ist eine der „ProBeweis“ Partnerkliniken und Ansprechpartner für alle Opfer von häuslicher Gewalt im Landkreis Schaumburg. In diesem Zusammenhang ist wichtig, dass Opfer nach einer Tat möglichst keine Körperreinigung durchführen – durch Waschen oder Duschen gehen Spuren verloren.

Spurenträger wie Kleidung oder Bettwäsche sollten in einer trockenen Papiertüte zur Untersuchung mitgebracht werden. „Scham und Angst verursachen eine hohe Hemmschwelle, die Opfer von Gewalt oft dazu veranlassen, von einer Anzeige Abstand zu nehmen“, weiß Stockhausen und betont ausdrücklich, dass das Netzwerk nicht nur für Frauen Ansprechpartner ist, sondern auch für Männer tätig wird, die Opfer gewalttätiger Übergriffe werden.

Im Rahmen eines vom Amt für Gleichstellung des Landkreises Schaumburg initiierten Online-Vortrages, hat die Rechtsmedizinerin die Idee, die hinter dem „ProBeweis“ Netzwerk steht, vor Fachpublikum erläutert. Stockhausen hat deutlich gemacht, was „ProBeweis“ bietet und was den Mehrwert für Betroffene darstellt.

Zdravka Buettner, Gleichstellungsbeauftragte vom Landkreis Schaumburg, ist es wichtig, das Angebot von ProBeweis bekannter zu machen. „Opfer von Gewalt, die sich erst mit Verspätung entschließen, Anzeige zu erstatten, haben so die Möglichkeit, auf Beweismaterialien zurückgreifen, denn ohne Beweise ist eine strafrechtliche Verfolgung mit zeitlicher Verzögerung nahezu aussichtslos“, betont Buettner. Foto: Landkreis

Foto 1: Sarah Stockhausen

Foto 2: Zdravka Buettner

Kurz-URL: https://www.bueckeburg-lokal.de/?p=66012

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