„Deutschland hat Riesenglück gehabt“Zeitzeuge Eberhard Diepgen über die Wiedervereinigung
Bückeburg (mm-10.09.15). Mit Eberhard Diepgen (74) hat die Konrad-Adenauer-Stiftung in ihrer Reihe „Mittagsgespräch“ einen Zeitzeugen als Referenten präsentiert, der zum Thema: „Was ist des Deutschen Vaterland …? – 25 Jahre Nach der Wiedervereinigung: Immer noch geteilt?“ im Hubschraubermuseum vor über 200 Zuhörern gesprochen hat. Diepgen war insgesamt über 15 Jahre Regierender Bürgermeister von Berlin.
Vaterland, so Diepgen, sei für die Deutschen ein kompliziertes Thema. Die Entwicklung der vergangenen 25 Jahre bezeichnete er als positiv. Heute traue sich keiner mehr zu sagen, in den 1980er Jahren gegen die Wiedervereinigung gewesen zu sein. „Wir haben in Deutschland ein Riesenglück gehabt“, betonte der Referent mehrmals. Da habe es die Auflösungserscheinungen im Warschauer Pakt gegeben, mit der Entwicklung in Ungarn und Polen.
Zudem habe man Glück bei den Zeitabläufen gehabt, so am 9. November, als im Anschluss an eine Sitzung des ZK der SED während einer Pressekonferenz sich jemand „verquatscht“ habe. Damit sei, so Diepgen, eine Dynamik eingeleitet worden, die nicht mehr zu bremsen war. Und dann das Glück mit der Führung in der Sowjetunion!
In der DDR habe keiner an die Wiedervereinigung geglaubt. Die SED habe Versucht, die Oppositionsbewegungen zu lenken und eigene zu gründen, mit dem Ziel, „dass die Herrschaft des Sozialismus nicht in Frage gestellt wird“. Ein großer Teil der Westdeutschen hätte dagegen die Wiedervereinigung angestrebt. Die Bundesrepublik bezeichnete Diepgen als ein „symbolarmes Land“. Die Westdeutschen hätten ein schwieriges Verhältnis zur eigenen Geschichte. Zum Gründungsmythos gehörten hier die „DM und der Mercedes-Stern“. Dabei müssten die Freiheitsbewegung des 19. Jahrhunderts und die Frankfurter Paulskirche im Mittelpunkt stehen. Die „Selbstbefreiung vom Faschismus“ sei die Gründungsidee der DDR gewesen.
Diepgen ist überzeugt, „dass Kanzler Kohl mindestens so stark an dem europäischen Einigungsprozess und der Westbindung Deutschlands interessiert gewesen ist wie an der Wiedervereinigung. Nach 25 Jahren sieht Eberhard Diepgen Unterschiede in der Entwicklung, „wirtschaftliche Unterschiede, beim Bruttosozialprodukt und bei den Arbeitslosenzahlen“. Man dürfe aber nicht nur die Ökonomie betrachten. Lebensqualität sei nicht nur ein Ergebnis ökonomischer Daten. Man müsse aber damit leben, „dass es auch 25 Jahre nach der Wiedervereinigung im Ostern mehr Verlierer der Deutschen Einheit gibt als im Westen“.
Grundsätzlich habe sich aber alles immer angeglichen, was aus dem Osten käme, würde immer stärker auf eine Resonanz im Westen stoßen. Diepgen nannte beispielsweise „die Bildungspolitik mit den Einheitsschulen und das frühzeitige Anmelden der Kinder in den Kindergarten“.
Der Referent bilanzierte, „dass wir nicht geteilt sind, aber noch Aufgaben vor uns haben“, so die Anpassung der Renten und Löhne sowie erhebliche Hilfen für ausgeglichene Haushalte in den ehemaligen DDR-Ländern. „Es gibt aber viel mehr Gemeinsamkeiten und ein viel einheitlicheres Land als in Spanien und Belgien – wir sind vorangekommen und sollten uns nicht überfordern“.
Diepgen ging auch auf aktuelle Entwicklungen ein und bezeichnete Deutschland „mehr als ein Land der Kirchtürme als der Minarette“. Je weiter man in den Osten gehe, desto schwieriger werde es mit der Aufklärung. Zum kollektiven Bewusstsein der Deutschen gehören laut Diepgen das Freiheitsdenken, die deutsche Sprache und die deutsche Kultur. Eine offene Gesellschaft habe auch mit Veränderungen zu tun. „Wir können noch viele Flüchtlinge aufnehmen, Staat und Verwaltung müssen die richtigen Bedingungen für eine Integration schaffen – aber Asylrecht hat nichts mit unserem Interesse auf dem Arbeitsmarkt zu tun!“
Foto: Eberhard Diepgen
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