„Missmanagement und Risiko-Ignoranz“Peer Steinbrück unterhält 170 Gäste beim Bürgermahl
Vehlen/Landkreis (mm-20.10.16). „Geben Sie mir ein Glas Wein und lassen Sie die Vorspeise weg“, meinte Dr. h.c. Peer Steinbrück, Bundesfinanzminister a.D., nachdem er mit hundert Minuten Verspätung und einer „komplizierten“ Anreise mit der Deutschen Bahn beim 11. Festlichen Bürgermahl der Bürgerstiftung Schaumburg im „Gasthof Vehlen“ eintraf und sofort mit seinem knapp 40-minütigem Vortrag zum Thema: „Finanzkrise (n) – Ereignis oder Zustand?“ begann. Zum Trost einiger Eltern und Großeltern verriet der Festredner, dass er zweimal in seiner Schulzeit sitzengeblieben ist. Stolz sei er darauf, im Aufsichtsrat von Borussia Dortmund zu sitzen.
Rolf Watermann, der Vorsitzende des Stiftungsvorstandes, hatte zu Beginn 170 Stifter, Spender, Helfer, Gönner und Sympathisanten („Rekordbeteiligung“) im „Gasthof Vehlen“ zu der Benefizveranstaltung begrüßen können. Watermann lobte Volker Wehmeyer, „der dieses wunderschön restaurierte und vom Bauherrn mit erheblichem Aufwand für heutige Bedürfnisse umgebaute Haus zu einer neuen, festen Adresse für Veranstaltungen im Schaumburger Land werden lässt“ und dankte Susanne Wittkugel und ihrem Team für das Catering und dem Menü.
Landrat Jörg Farr erinnerte in seinem Grußwort daran, dass der damalige Bundesfinanzminister Steinbrück mit dem Konjunkturpaket II seinen Beitrag dazu geleistet habe, dass Deutschland gut aus der Krise gekommen ist. Schamburg sei es nach 2009 deutlich besser gegangen. Das Geld aus dem Konjunkturpaket sei in Schulen und die energetische Gebäudesanierung gut angelegt worden. Eine Leitstelle für Klimaschutz konnte aufgebaut worden. „Im Landkreis Schaumburg sind 5.000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse dazugekommen“, berichtete der Landrat.
Dank eines „gelebten Netzwerkes“ habe Schaumburg auch die Flüchtlingskrise gut gemeistert. 3.000 Menschen habe man unterbringen können, ohne Turnhallen zu schließen. Oliver Schäfer, Bürgermeister der Stadt Obernkirchen, erinnerte an das Jahr 2009, als „mit einem Federstrich alles schlechter wurde als noch drei Jahre zuvor und es Steuereinbrüche von 30 Prozent gegeben habe, von denen sich die Stadt erst in den letzten zwei Jahren erholt“ habe.
„Die Aussage von Frau Merkel und mir, die Spareinlagen sind sicher, war eine politische Aktion auf sehr dünnem Eis, ohne demokratische Legitimation und ohne Rechtsgrundlage“, räumte Peer Steinbrück ein. Politik müsse nun mal Verantwortung übernehmen. 2013/2014 sei eine Zäsur eingetreten mit der Okkupation der Krim und der Destabilisierung der Ukraine. Viele Hoffnungen seien zerschlagen worden.
Die EURO-Krise in Griechenland sieht Steinbrück bis heute nicht gelöst. Es sei zu einer Re-Nationalisierungstendenz in vielen Ländern Europas gekommen, eine Reaktion auf komplexe Zusammenhänge und Überfremdungsängste. Staatlichkeit sieht Steinbrück nicht nur im Nahen Osten, sondern auch in Teilen Nordafrikas zerfallen. Dazu sind der Export des IS-Terrors und die Flüchtlingswelle gekommen.
„Die Haltung von Frau Merkel war sehr ehrenhaft, aus humanitären Gründen die Grenzen im September 2015 zu öffnen, die Einzigartigkeit der Vorgänge ist aber nicht deutlich genug kommuniziert worden“, so Steinbrück deutlich. Die Bewältigung der Integration sei eine größere Aufgabe als nach der Wiedervereinigung. Die Entwicklung habe bei vielen Bürgern zur „Desorientierung, zu Skepsis und deutlicher Ablehnung gegenüber etablierten Politikern“ geführt.
Anfang dieses Jahrhunderts, so Steinbrück, sei viel von Deregulierung die Rede gewesen. Der Staat sollte sich raushalten, der Markt alles regeln. Zwei Protagonisten bei der Deregulierung der Finanzmärkte seien Reagan und Thatcher gewesen. Dann habe man feststellen müssen, dass Märkte nicht zwingend zum Gleichgewicht führen, sondern zu Prozessen, die alles kaputt gemacht hätten.
„Missmanagement, Risiko-Ignoranz und eine extreme Renditejagd haben Jobs und Anlagen bedroht, gesellschaftliche Strukturen zerschlagen“. Dann war wieder der Staat gefragt, um alles in Ordnung zu bringen – mit dem Geld der Steuerzahler. Das marktwirtschaftliche Prinzip von Risiko und Haftung wurde aufgehoben. „Die Finanzmarktregulierung muss reaktiviert werden, dafür brauchen wir internationale Lösungen“, so Steinbrück.
Foto 1: Peer Steinbrück (2.v.li.) wird von Jörg Farr (v.li.), Rolf Watermann und Oliver Schäfer im „Gasthof Vehlen“ begrüßt.
Foto 2: Rolf Watermann
Foto 3: Jörg Farr
Foto 4: Peer Steinbrück
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